Die Entstehung einer Tongrube
Der Rohstoff für Ziegel, Ton, kommt in natürlicher Form in der Erde vor. Jeder hat ein Bild vor Augen, wenn er das Wort hört. Aber zu beschreiben, was genau Ton ist, ist schwieriger. Schon frühe Hochkulturen haben Techniken entwickelt, um mit ihm zu bauen. Aber der Ton selbst ist noch viel älter: Der Ton, den wir heute abbauen und verwenden, hat sich über Millionen von Jahren gebildet und ist schon um die halbe Welt gereist. Er ist ein Zeitzeuge der Erdgeschichte.

Wenn Murray Rattana-Ngam, Geschäftsführer vom Ziegelwerk Bellenberg, Führungen durch seine Tongruben macht, muss man passendes Schuhwerk tragen, denn der Boden ist sehr sandig und lehmig. Immer wieder kommen Schulklassen, um die Geschichte des Bodens kennenzulernen und um Lehm zum Basteln abzuholen. Ton hat zwei Eigenschaften, die ihn für Kunst und Bauwesen so interessant machen: seine plastische Verformbarkeit im wässrigen System und seine irreversible Verfestigung beim Brand. Das heißt, bei optimalem Wassergehalt ist er formbar wie Knete und kann dann durch Trocknen, Brennen bei sehr hohen Temperaturen in eine stabile Form gebracht werden. Durch den Brennvorgang werden die Tonminerale in Keramik umgewandelt. Ziegeleien, also Werke, in denen Tone gemischt, geformt und gebrannt werden, sind traditionell in direkter Nähe zu Tonabbaugebieten, um die Transportwege gering zu halten. Wie kommt es, dass Tonminerale an manchen Stellen gehäuft vorkommen?
Wenn Gestein verwittert
Nicht überall findet man Ton in großen Mengen. Der Ausgangspunkt für den Rohstoff liegt Jahrmillionen zurück. Im tropischen und subtropischen Klima der äquatorialen Zone, die vor etwa 400 Millionen Jahren auch Deutschland einschloss, sind feldspatreiche Gesteine chemischer Verwitterung ausgesetzt. Hohe Niederschläge und Huminsäuren aus üppiger Pflanzenproduktion begünstigen den Zersatz dieser Ausgangsgesteine und damit die Entstehung von Tonmineralen. Der größte Teil der gebildeten Tonminerale wird mit Flüssen in Seen und flache Schelfmeerbecken transportiert. Ein kleinerer Teil wird zusammen mit Küstensanden sedimentiert oder gelangt bis auf die Tiefsee-Ebenen der Ozeane. Die Sedimentation der Tonminerale erfolgt zusammen mit resistenten Verwitterungsresten wie Quarz und Gesteinsfragmenten oder Karbonaten. Die Ton-Sedimentation erfolgt unvorstellbar langsam: Für die Ablagerung einer drei Zentimeter dicken Tonschicht werden im Mittel 1.000 Jahre benötigt. Das Ergebnis dieses Prozesses finden wir heute in Tongruben.
Ton erzählt Erdgeschichte
„Ziegel und Erdgeschichte sind untrennbar miteinander verbunden“, erklärt Dr. Lutz Krakow, der ein Labor an der Schnittstelle von Geologie, Tonmineralogie und Keramik betreibt. „Der älteste Ton, der derzeit in der deutschen Ziegelindustrie eingesetzt wird, ist vom Typ Tonschiefer und Phyllitschiefer und etwa 480 Millionen Jahre alt. Bedeutender für die Ziegelindustrie sind jedoch die Tonrohstoffe aus dem Erdmittelalter vor 252 bis 66 Millionen Jahre, das Ton- und Tonmergelsteine sowie Schiefertone hervorgebracht hat, sowie die Tone der Erdneuzeit, bei denen man von plastischen Tonen, Mergel und Marschtonen spricht.“ Die geologisch jüngsten Tone, die derzeit verziegelt werden, sind rezente Marschtone aus entwässertem Watt an der Nordseeküste. Der Aufbau von Tongruben variiert enorm und reicht von nur zwei Meter flachen schüsselförmigen Tongruben im norddeutschen Flachland bis hin zu steinbruchähnlichen 50 Meter hohen Tagebauwänden in Bayern und Thüringen. Rattana-Ngam berichtet von mehreren Metern Sand, die er abbauen muss, bevor er an den guten Ton kommt.
Die Mischung macht‘s
Der abgebaute Ton wird nicht direkt zur Weiterverarbeitung transportiert, sondern lagert in sogenannten Mischhalden. „Wie ein Schichtkuchen werden die verschiedenen Tone in Lagen eingebaut und etwa ein Jahr lang dort liegen gelassen. Um die richtige Mischung herstellen zu können, führt jedes Ziegelwerk deshalb regelmäßig Beprobungen in den Tongruben durch, die die Zusammensetzung des Tons analysieren“, erklärt Rattana-Ngam. „Ich bin ein Freund von haptischen Dingen: Der eine ist fast gesteinsartig, der andere ist leicht zu kneten. Es ist erstaunlich, wie verschieden manche Tonarten sind. Die Unterschiede sind übrigens auch optisch erkennbar.“ In seiner Tongrube sind die Kontraste besonders gut erkennbar, denn teilweise liegt dort auch Fremdmaterial. Nicht immer geht Ton aus der Grube heraus – manchmal kommt auch neuer rein.
„Bei einer Tunnelbohrung im Rahmen des Bauprojekts Stuttgart 21 fiel unglaublich viel Bodenmaterial an. Man stellte fest, dass es sich bei dem Abraum um guten Ton handelte“, berichtet Rattana-Ngam. „Deswegen kam man auf die Idee, diesen in die Ziegelwerke zu fahren. Und deshalb haben wir jetzt einige Haufen, die ausnahmsweise nicht aus der eigenen Grube kommen, sondern aus einer akzeptablen Entfernung. Seit dieser Maßnahme legen wir einen größeren Fokus auf das Thema Fremdmaterial und sind sensibilisiert, wenn irgendwo ein großer Aushub ansteht.“ Durch diese effiziente und nachhaltige Nutzung von Abraum, welcher bislang verkippt wurde, können nun neue Eigenheime und Wohnräume entstehen.
Neue Tongruben
Auch wenn die Tongrube hin und wieder befüllt wird (Rattana-Ngam schätzt, dass Stuttgart 21 alleine den Abbau um 60 Jahre verlängern wird): Irgendwann sind die lokalen Tonvorkommen erschöpft. Über Probebohrungen kann man nicht nur herausfinden, wie weit das Tonvorkommen in der Grube noch reicht, sondern auch an potenziellen neuen Standorten Tests zur Bodenzusammensetzung durchführen. „Normalerweise ist der Ablauf so: Man hat Vermutungen, wo Ton sein könnte, dann redet man mit Geologen und schaut sich Gebiete an, ob sie in Frage kommen. Zum Beispiel dürfen es keine Wohngebiete sein. Anschließend macht man mehrere Bohrungen zur Prüfung, ob es Sinn macht, dort eine große Grube zu eröffnen oder eine bestehende Grube zu erweitern.“ Murray Rattana-Ngam arbeitet damit für Generationen vor: „Ton ist natürlich endlich. Aber das Ende unserer Tongrube werden weder ich noch meine Kinder erleben.“

Manches bleibt – vieles ändert sich
Zum Ziegelwerk Bellenberg gehören insgesamt drei Tongruben, die älteste davon ist noch immer dieselbe, die mit der Gründung des Werkes 1896 erschlossen wurde. Rattana-Ngam erinnert sich noch an die Geschichten seines Großvaters, dass der Boden vor und nach dem Krieg mit Dynamit gesprengt wurde. Der Ton wurde mit Loren abtransportiert. „In den 70er-Jahren wurden dann Bagger zum Standard. Für mich als Kind waren diese kleinen Züge immer sehr beeindruckend, weil die damals schon antiquiert wirkten.“ Heute wären Sprengungen aus vielen Gründen undenkbar – nicht zuletzt, weil sie die vielen Vögel und Amphibien stören würden, die in den Tongruben beheimatet sind.
„Mindestens einmal im Jahr finden Erhebungen des BUND auf unseren Flächen statt. Zum Beispiel Gelbbauchunken gibt es kaum noch in der Region – aber Tausende leben in der Grube. Die Uferschwalbe nutzt die Sandstreifen, die sie braucht, um dort ihre Nester zu bauen, und die an der Iller nicht mehr natürlich vorkommen. Die Bereiche, die der BUND gemeinsam mit den Verantwortlichen im Ziegelwerk Bellenberg als Lebensraum identifiziert, werden dann gerade in den Brutphasen in Ruhe gelassen. Der Großteil der Fläche wird also nur von uns betreut und beispielsweise mit Wasserläufen und Teichen artgerecht gestaltet.“ Für den Geschäftsführer des Werkes sind diese Landschaftsmodulationen keine Last: „Ich persönlich finde das schön. Wir sind kein Schandfleck in der Natur, wir schaffen sogar Lebensräume.“
Für die Tiere ist die Grube mittlerweile ein Ort der Ruhe: Bagger und LKW stören sie nicht, sie wissen, dass diese keine Gefahr für sie darstellen. Spätestens um 18 Uhr sind Rehe, Störche, Uhu und Waschbären komplett unter sich. Murray Rattana-Ngam setzt auf ein Miteinander mit den Tieren statt eins Gegeneinanders. Es sind regionale Themen wie der Naturschutz vor der eigenen Haustür, der Ziegelwerke in ganz Deutschland auszeichnet. Die Verbundenheit mit der Region zeigt sich auch, wenn man sich den Verkaufsradius der Hintermauerziegel ansieht: „In der Regel liefern wir nicht weiter als maximal 200 Kilometer. Bei uns wird der Slogan ‘Aus der Region, für die Region.‘ täglich gelebt.”
Die Geochemie von Tonmineralen
Nach der Sedimentierung der Tonminerale beginnt eine Art Reifeprozess: Die einzelnen Moleküle ordnen sich zu Kristallgittern an. Diese Gitterstrukturen bestehen im Wesentlichen aus zwei Elementen: einer Tetraeder- und einer Oktaederschicht. Bei den SiO4−Tetraedern (Silikat) können die Siliziummoleküle teilweise durch Aluminiummoleküle ersetzt werden (Alumosilikate). Das Aluminium der Al(OH)6-Oktaeder (Aluminiumsilikate) kann durch Magnesium ersetzt werden.
Die Ecken der Tetraeder sind miteinander zu einer Schicht verknüpft, die Oktaeder verbinden sich an ihren Kanten. Zwischen diesen Gitterstrukturen kann sich Wasser einlagern, das für die Verformbarkeit des Tons verantwortlich ist. Beim Trocknen und während des Brennvorgangs tritt dieses Wasser aus, der Stoff härtet aus und Keramik entsteht.
