Recycling in der Ziegelforschung
Das Institut für Ziegelforschung Essen e.V. (IZF) beschäftigt sich in Forschung und Beratung mit Verfahrenstechnik, Bauphysik und Produkteigenschaften des Ziegels. Eine immer größere Rolle spielt das Thema Recycling: vom Einsatz von Ziegelbruch bis zur Nutzung alternativer Rohstoffe im Ziegelkreislauf. Dipl-Ing. Sandra Petereit und Dipl.-Ing. Eckhard Rimpel vom IZF berichten im Interview von Herausforderungen und Chancen.

Frau Petereit, was ist Recycling?
Sandra Petereit (SP): Aktuell sind viele verschiedene Begriffe im Umlauf: Kreislaufwirtschaft, Urban Mining, Ressourceneffizienz, Wiederverwertung, Abfallvermeidung, Recycling. Mit der Frage, was der Unterschied zwischen Urban Mining und Recycling ist, hat sich sogar die Sendung mit der Maus beschäftigt! Recycling bedeutet im Grunde, dass man für anfallende Abfallstoffe einen neuen Einsatzort findet. Urban Mining geht noch einen Schritt weiter – schon bei dem Design und der Produktion von Baustoffen macht man sich Gedanken, wie diese später wiederverwendet werden können. Das passiert natürlich auch in anderen Branchen. Ziel dieses Cradle-to-Cradle-Prinzips: eine komplette Abfallfreiheit der Wirtschaft, keine gesundheits- oder umweltschädlichen Materialien und ein möglichst geschlossener Kreislauf. Der Themenkomplex Recycling dreht sich also um die Frage: Wie kann ich das Material sinnvoll wieder einsetzen, welches als Abfall gilt?
In dem Zusammenhang ist es auch immer wichtig, die Frage nach dem Warum zu stellen: Warum sollten wir Rohstoffe überhaupt wiederverwenden? Es entstehen mittlerweile über 214 Mio. Tonnen Bauabfälle im Jahr. Etwa 10 Millionen davon sind Abbruchziegel und Gemische mit Mörtel, Fliesen etc., von denen wir nicht wollen, dass sie auf Halden landen.

Welche Rolle spielt Recycling in der Ziegelindustrie?
Eckhard Rimpel (ER): Hier gibt es zwei Ebenen: Einmal die Frage, wie Ziegel recycelt werden können, aber auch: Welche Abfälle aus anderen Industrien können wir in der Produktion verwenden?
Fangen wir doch damit an, wie Ziegel recycelt werden können.
SP: Ziegelmaterialien haben ihre Wiederverwendung zu großen Teilen in ihrem ursprünglichen Einsatzbereich. Sie können wieder zerkleinert und sortenrein erneut der Produktion zugesetzt werden. Gemischtes Abbruchmaterial wird beim Straßenbau eingesetzt. Auch die Verwendung von historischen Ziegeln ist beim nachhaltigen Bauen beliebt – nicht nur um ästhetisch einen Retro- oder urbanen Look zu erzeugen, sondern auch aus Umweltgründen: Überall dort, wo neue Ziegel nicht passen, können alte Steine in Form gebracht und eingesetzt werden.
ER: Beim Backstein geht ein 1:1 Re-Use der einzelnen Steine problemlos. Der Hintermauerziegel ist schwächer gebrannt als Klinker, beim Abriss gehen die Steine mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kaputt. Das Abbruchmaterial ist aufgrund seiner Eigenschaften dennoch enorm wertvoll und fern davon, Abfall zu werden.
Die naheliegendste Option für Hintermauerziegel – und die, die auch aktuell schon in allen Ziegelwerken angewendet wird – ist die Verwendung in neuen Ziegeln zum Einsparen von Originalrohstoff. Sortenreiner Ziegelbruch kann im Ziegelwerk aufgemahlen werden. Wie viel Prozent des Tons ersetzt werden kann, hängt vom Rohstoff ab: Zum Beispiel kann fetter, matschiger Ton durch Ziegelmehl abgemagert werden. Irgendwann ist aber Schluss, der Ton muss auch noch zusammenhalten.
SP: Ein anderer Einsatzort ist Recycling-Beton. Man erkennt den Einsatz von Ziegelbruch gut an den roten Stippen im RC-Beton.
ER: Das ist ein großes Feld, das wir aktuell gemeinsam mit der Zementindustrie erforschen: Für die Herstellung von Beton werden riesige Mengen von Kies und Sand benötigt – und es gibt ein weltweites Bausandproblem. Es wird eine bestimmte Kornform benötigt, so dass die runden Sandkörner aus den Wüsten nicht verwendet werden können. Durch die Verwendung von feinem Ziegelmehl kann Sand gespart werden, können prozessbedingte CO2-Emissionen reduziert und Kreisläufe geschlossen werden. R-Ziment nennen wir Zement, der nicht mit Sand, sondern aus Ziegel gemacht ist.
SP: Ein anderes Forschungsprojekt untersucht die Möglichkeiten Ziegelbruch als Pflanzmaterial für zum Beispiel Dachbegrünungen statt handelsübliches Pflanzmaterial einzusetzen. Feiner gemahlenes Ziegelmaterial, hauptsächlich aus dem Bereich Dachziegel findet man in sogenannten Tennenbelägen, also z. B. Tennisplatzen, Sportplätzen, etc. Als Pflanzgranulat soll Mauerziegelmaterial, das von Natur aus höhere Kalkgehalte aufweist und zudem mit Mörtelanhaftungen „verunreinigt“ ist, verwendet werden. Erste Ergebnisse eines laufenden Forschungsvorhabens sind vielversprechend.

Sie erwähnten Abfälle aus anderen Industriezweigen, deren Kreisläufe in der Ziegelindustrie geschlossen werden können.
ER: In der Papierherstellung bleibt bei der Aufbereitung des Recyclingmaterials sogenannter Fangstoff in den Filtern hängen, der aus feinen Fasern und Kalk oder Kaolin besteht. Für diesen Bereich gilt es als Abfall – wir können es aber weiternutzen als Porosierungsmittel. Genau dasselbe mit Polystyrol, das in großen Mengen beim Schreddern von Verpackungsabfall anfällt oder mit Getreidereinigungsrückständen oder Sägemehl.

Was sind die Herausforderungen?
SP: Letztendlich ist die Nutzung von Abfällen – insbesondere aus anderen Branchen – immer mit Regularien verbunden. Das ist auch wichtig: Die Endprodukte müssen immer bestimmte technische und umweltrechtliche Eigenschaften erfüllen. Zum Beispiel müssen Ziegel eine bestimmte Druckfestigkeit haben, um über eine entsprechende Stabilität zu verfügen. Oder es wird getestet, dass keine schädlichen Stoffe während der Herstellung emittiert werden oder aus den Produkten durch Regen ausgewaschen werden. Die Güteüberwachung von Recyclingstoffen ist streng und geschieht über eigene und externe Kontrollen.
ER: Das Thema Sortenreinheit ist wahrscheinlich die größte Herausforderung. Es gibt im Abbruch enorm viel Störmaterial: Mörtel, Fliesen, Kiesel, Beton. Gleichzeitig gibt es hier aus der Forschung heraus auch viele Chancen: Bisher konnte Ziegel nur negativ getrennt werden. Das heißt: Gips, Kalksandstein, Beton konnte man erkennen, Stücke, die dieser Spezies nicht entsprachen, mussten also Ziegelstücke sein. Ein aktuell laufendes Forschungsvorhaben erprobt den Einsatz neuer Kameratechniken, die Ziegel positiv erkennen können. Ziel ist es, über eine Materialprobe sagen zu können, dass es sich um diesen oder jenen Ziegel handelt, damit die Arten dann entsprechend ihrer Eignung eingesetzt werden können. Für die Verwendung als Vegetationssubstrat eignen sich zum Beispiel eher die weicheren Ziegel mit hoher Wasseraufnahme. Für den Straßenbau eher die härteren. So kann insgesamt mehr Material wiederverwendet werden und man nähert sich einem geschlossenen Kreislauf an. Schon jetzt wird im Labor eine Erkennungsrate zwischen 90 und 95 Prozent erreicht.
Ist hundertprozentig geschlossener Kreislauf aus Ihrer Sicht realistisch?
ER: In Teilbereichen ja: Bei der Aufstockung meines Elternhauses wurden die Dachziegel einfach wieder auf das Haus gelegt. Das war 1963 und das Dach ist heute noch in einem top Zustand. Das ist ein geschlossener Kreislauf. Zum Recycling von Ziegel oder Backstein gehört immer auch die Trennung vom Mörtel und die Verwendung von neuem Mörtel dazu. Das sind schon nicht mehr 100 Prozent. Es gibt außerdem Bereiche, die nicht ohne eine hohe Schadstoffbelastung auskommen: Durch die Exkremente von Tieren ist im Abbruch von Schweine- oder Kuhställen extrem viel Ammoniak enthalten. Solange dieser im Ziegel gebunden ist und der Stall nicht abgerissen wird, ist das kein Problem. Aber sobald der Abbruch irgendwo anders eingesetzt wird, haben die Auswaschungen einen zu hohen Stickstoffgehalt, der nicht ins Grundwasser gelangen darf. Beim Innenfutter von Kaminen ist es genauso. Diese Baustoffe können nur auf Sondermülldeponien. Ich bin also skeptisch, was die 100 Prozent angeht.
Beim Hintermauerziegel gibt es noch keine langfristigen Studien: Die Häuser haben eine Lebensdauer von mindestens 80 Jahren bis zum Abriss. Es gab also noch nicht genug Abbruchmaterial für eine Erforschung. Das wird aktuell aufgeholt.

Frau Petereit, Sie haben anfangs einige Begriffe im Zusammenhang mit dem Recycling-Thema erwähnt. Ein weiteres Wort ist „Downcycling“ – meistens im Zusammenhang mit Aussagen, dass die Königsdisziplin Recycling im selben Einsatzgebiet ist.
SP: Ich würde es nicht so einordnen und vor allem nicht so abwerten, nur weil es einen anderen Einsatzort hat. Die Sorten, die jetzt noch nicht sauber getrennt werden können, können nur als Unterfütterung zum Beispielfür den Straßenbau verwendet werden. Wichtig ist, dass diese Materialien wieder eingesetzt werden. Das ist immer besser als deponieren.
Wer trägt die Verantwortung für geschlossene Kreisläufe?
SP: Die gesetzliche Grundlage dafür bildet in Deutschland das Kreislaufwirtschaftsgesetz. In §23 heißt es: Produkte sind so zu gestalten, dass bei ihrer Herstellung und ihrem Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wird, sowie entstandene Abfälle umweltverträglich verwertet und beseitigt werden. Ein weiteres Instrument der Politik ist das Ressourceneffizienzprogramm mit dem Ziel, die Entnahme und Nutzung von Ressourcen nachhaltiger zu gestalten. Aus der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen ergibt sich daraus eine Verringerung von Rohstoff- und Materialverbrauch, um diese Ressourcen dauerhaft zu sichern.
ER: Aktuell liegt die Verantwortung in erster Linie bei den Recyclingfirmen. Im Hinblick auf Urban Mining verschiebt sich zumindest der erste Schritt in der Kette der Verantwortlichkeiten in Richtung Produktdesign und damit der Hersteller. Viele Ziegelwerke haben mittlerweile eigene Recyclinganlagen, die das Füllmaterial etwa über Windsichtung von Ziegel und Mörtel trennen können. Der zweite Schritt, die Trennung von Mörtel und Ziegel, ist schwieriger. Das ist der Punkt, an dem die Kamera einsetzt.

Was ist in Zukunft denkbar?
ER: Vieles! Ein sehr interessanter Bereich ist aus meiner Sicht die Nutzung alternativer Quellen für Ton. Schluff, der in verschiedenen Flusssedimenten vorkommt, ist quasi junger Ton, der den Ziegeln beigemischt werden kann. Davon fallen immer wieder größere Mengen an: zum Beispiel Hafenschlamm aus Hamburg oder Hafenschlick aus Venedig. Ein anderes Abfallprodukt, das beim Haldenabbau anfällt, sind Gesteinsmehle. Diese Minerale könnten als verfestigendes Mittel genutzt werden. Die Eigenschaften müssen noch getestet werden – zumindest die Brennfarbe wird zum Beispiel durch die Basaltbeigabe verändert.
Häufig steht der Kreislaufwirtschaft die Genehmigungspraxis im Wege. Papier darf zum Beispiel im Material eingesetzt werden, aber nicht als Brennstoff. Denn damit würde das verbrennende Werk als Müllverbrennungsanlage gelten. Das bedeutet: Es ist aus Genehmigungssicht ein Unterschied, ob das vorrangige Ziel ist, Papierfangstoff dem Ton beizumischen, um ihn als Porosierungsmittel zu verwenden, oder, ob das Hauptziel Energiegewinnung ist und damit das Mitverbrennen von Abfall.
Wenn Sie die Regeln machen dürften, aus welchen Industrien würden sie gerne Abfälle verwenden dürfen?
ER: Ich würde Öle aus Pyrolyse-Anlagen – zum Beispiel aus Altreifen – für die Verbrennung zulassen, oder die Pyrolyse vom „gelbe Sack“ statt ihn irgendwo auf der Welt irgendwie zu Verbrennen oder zu deponieren. Aus Sicht der CO2-Reduktion wird dabei zwar nichts gewonnen, aber es ist eine sinnvolle Verwendung von Abfällen. Finnland ist da ein gutes Vorbild: Dort dürfen Ziegelwerke sogenanntes „Green Oil“ verwenden. Green bedeutet in dem Fall: Es handelt sich um Abfall aus einem anderen Prozess, der weiter genutzt werden kann. Bei uns ist das genau der Grund, warum man es nicht einsetzen darf, höchstens in Einzelfällen sind Genehmigungen möglich.