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Interview | Werkstoffwissenschaftler Tobias Bem über die Vielfalt der Tonbaustoffe

Tobias Bem ist Werkstoffwissenschaftler im Ziegelwerk Bellenberg. Im Interview berichtet er, was Glas und Keramik gemeinsam haben, welche Tonarten er für den Hintermauerziegel einsetzt und warum auch die Hülle eines Spaceshuttles aus Ton besteht.

Ton muss nicht immer aus dem eigenen Werk kommen: Bei größeren Baumaßnahmen fallen oft große Mengen an brauchbarem Ton an. Tobias Bem prüft die Zusammensetzung und damit Eignung des Materials, wie hier auf der Baustelle von Stuttgart 21.

Herr Bem, wie kamen Sie ins Ziegelwerk?

Auf Umwegen: Ich habe mit einem Mathe-Diplomstudium angefangen und dann auf Logistik umgeschwenkt. Dort hatte ich eine Vorlesung zu Werkstoffwissenschaften. Als meine Frau ein Jobangebot in der Nähe von Koblenz bekommen hat, habe ich geschaut, was man dort studieren kann, und habe mich dann für den Studiengang Werkstoffwissenschaften (Glas und Keramik) eingeschrieben. Im Westerwald, wo ich in der Zeit gewohnt habe, gibt es gute Tonvorkommen. Ich habe dann ein Praktikum bei einem Rohstofflieferanten gemacht und während des Studiums dort weitergearbeitet. Und ich hatte einen guten Professor, der mein Interesse an der Grobkeramik geweckt hat.

Keramik findet man auch an unerwarteten Einsatzorten: zum Beispiel in der Hülle eines Spaceshuttles.

Was ist Ihre Zuständigkeit im Ziegelwerk?

Meine erste Station nach dem Studium war ein Klinkerwerk, bevor ich in die Hintermauerziegelindustrie gekommen bin. Beim Klinker kommt es eher auf die Farbgebung an, beim Hintermauerziegel sind es die technischen Komponenten, die wichtiger sind. Um die jeweiligen Produkteigenschaften zu erreichen, braucht es jeweils eine bestimmte Mischung von Tonsorten. Es gibt je nach Lagerstätte unterschiedliche Tonarten mit unterschiedlicher mineralogischer Zusammensetzung. Diese sind wie einzelne Puzzleteilchen, aus denen ich wählen kann, wie viele Bestandteile von welchem Material zum Einsatz kommen. Wir setzen bei uns neun bis zehn verschiedene Tone ein. Jeder Ton erfüllt dabei eine bestimmte Rolle: Der eine senkt die Scherbenrohdichte und verringert so die Wärmeleitfähigkeit. Ein anderer hat einen hohen Anteil an Aluminiumdioxid, das für eine bessere Tragfähigkeit sorgt und den Bau hoher Häuser erlaubt. Wieder ein anderer, mit einem hohen Anteil an Eisenoxid, macht eine rötliche Färbung. Dann haben wir auch noch externe Tone, zum Beispiel aus der Stuttgart-21-Baustelle, die wir auch in unsere Rezeptur einbauen können.

Sind Sie im Ziegelwerk also der Koch, der die Rezeptur bestimmt?

So kann man das sagen, ja. Ich verwende seit etwa drei Jahren eine relativ konstante Mischung mit nur minimalen Anpassungen.

Woher wissen Sie, welche Eigenschaften welcher Ton hat?

Das sogenannte Winklerdreieck teilt Ton nach der Korngröße ein. Damit kann man recht schnell sagen, ob der Ton eher für Dachziegel, Porzellan oder Hintermauerziegel geeignet ist.

Das Winklerdreieck gibt einen ersten Überblick über die Korngröße und damit Einsatzmöglichkeiten verschiedener Tonarten.

Ton als Baustoff ist mehrere Jahrtausende alt – was glauben Sie: Wie sieht seine Zukunft aus?

Was meinen Beruf so spannend macht: Es ist nicht nur bloße Anwendung, sondern Weiterentwicklung! Die Industrie hat sich immer weiterentwickelt und muss sich stets neuen Gegebenheiten anpassen. Gerade auf der keramischen Seite gibt es einige Punkte, die noch erforscht werden können. Und die Ziegler sind eine Industrie, die nicht schläft. Da gibt es sehr viele kreative Menschen, die immer weiterdenken und Neues ausprobieren. Da gehört mein Chef zum Glück dazu. Deswegen begleiten wir industriell einige Forschungsprojekte: Die ersten Versuche finden im Labor statt und wir setzen sie im Werk um, auch wenn es erstmal nur ein bis zwei Ofenwagen neben dem normalen Betrieb sind. Zum Beispiel experimentieren wir gerade damit, wie man die Brenntemperatur senken kann, um weniger Gas zu benötigen. Der Brennprozess ist immer energieintensiv, da hier eine mineralogische Phasenumwandlung stattfindet. Ton hat aber auch den Vorteil, dass er auch schon im getrockneten Zustand feste Eigenschaften hat. Der Nachteil ist allerdings, dass er nicht nass werden darf. Die Energie zum Brennen muss nicht aus Erdgas kommen, sie kann auch elektrisch oder mit Wasserstoff erzeugt werden.

Ton ist überall: In der Blumenvase, im Teller – und in der Zahnpasta!