Was passiert in der Ziegelforschung?
Die heutigen Ansprüche an Gebäude sind groß: Sie sollen aus natürlichen Rohstoffen gebaut werden, ressourcenschonend sein und extremen Wetterbedingungen standhalten. Kein anderer Baustoff erfüllt diese Ansprüche so wie der Ziegel. Das liegt auch daran, dass die Ziegelhersteller seit jeher in Forschung investieren. Als eigene Forschungsstelle für die Ziegelindustrie wurde 1952 das Institut für Ziegelforschung in Essen e.V. (IZF) gegründet.

Durch die jahrzehntelange Erfahrung in Innovationsforschung und Gütekontrolle findet man im IZF eine Expertise und Kompetenz rund um den Ziegel, die weltweit bis in den arabischen Raum geschätzt werden. In einem Rundgang über das Gelände berichtet der stellvertretende Institutsleiter Dipl.-Ing. Eckhard Rimpel von aktuellen und vergangenen Forschungsaktivitäten und stellt ausgewählte Projekte vor.
Beim Betreten der Anlage in Essen-Kray weiß man sofort, wo man ist: In den Gebäuden sind neben Büro- und Verwaltungsräumen Herstellungsmaschinen, Messgeräte sowie Ziegel in allen denkbaren Formen. Auch die Gebäude selbst sind aus Ziegel, überall stehen kleine Miniaturmauern oder Lieferungen verschiedener Hersteller. Das Besondere an den Hallen aus Ziegel: Die Hintermauerziegel sind unverputzt. Rimpel bleibt an den drei Ziegel hohen Mäuerchen stehen und erklärt, dass dies Prüfwände sind, die bald in die nächste Halle gefahren werden, um dort ihre Feuerfestigkeit zu testen.

Ziegelei in kleinem Maßstab
„Eigentlich haben wir hier eine komplette Ziegelei,“ sagt Rimpel. „Es ist alles da: Kastenbeschicker, Walzwerk, Extruder, Trockner, Ofen – auch wenn natürlich nicht immer alles benutzt wird.“ Für die verschiedenen Forschungsvorhaben gibt es mehrere Arten von Trocknern und Öfen. Im Rahmen von Forschungsprogrammen soll neben Wasserstoff als Brennstoff auch getestet werden, inwieweit eine Elektrifizierung bei der Herstellung von Ziegeln zur Senkung von Treibhausgasemissionen beitragen kann. Der größte Ofen ist zwölf Kubikmeter groß und in seinem Inneren können Messungen vorgenommen werden. In einem weiteren Laborofen können die Brenner je nach Projekt wahlweise mit Erdgas oder Wasserstoff betrieben werden.
Bestimmung der Wärmeleitfähigkeit
Zur Gütebestimmung der fertigen Steine gibt es eine Reihe von Messgeräten. Die wohl wichtigste Kennzahl in Bezug auf Nachhaltigkeit ist der Lambda-Wert, aus dem man schließlich den U-Wert einer Wand berechnen kann, der die Dämmeigenschaften einer Wand angibt. Die Messungen im IZF sind an kleinen Probekörpern, einem einzelnen Ziegel, an kleinen 50x50 cm Mauerwerksausschnitten oder an kompletten Wänden samt Fugen und Mörtel möglich. Dafür gibt es Messgeräte in unterschiedlichen Größen.


Simulation von Naturgewalten
Zur Bestimmung der Feuerfestigkeit wird ein halboffener Ofen verwendet, bei dem die zu messende Wand die fehlende Seite ersetzt. Zur Messung wird der Ofen entlang einer bestimmten Temperaturkurve erhitzt, und man kann beobachten, wie sich die Wand verhält, wenn es anfängt zu brennen. Hier kooperiert das IZF mit der TU Braunschweig, die einen größeren Versuchsstandort hat, an dem z.B. auch Säulen rundum erhitzt werden können. Nicht nur Feuer, sogar Erdbeben lassen sich simulieren. Dafür gibt es zwei Arten: Im kleineren Maßstab, wie hier in Essen, drückt eine Konstruktion gegen eine Wand und stellt so die Kräfte nach die bei einer Erschütterung auf die Wände wirken. Für die Simulation eines Erdbebens mit einen Shaking-Table (dt. Rütteltisch) arbeitet das IZF mit der TU Kaiserslautern zusammen.
Wettersimulation im Haus im Haus
Ein einem weiteren Forschungsvorhaben wurde die Frage gestellt: Wie soll ein Dach aufgebaut sein, um dem Wechselverhalten von Frost, Regen und Sonne standzuhalten? Dazu wurde ein kleiner Raum in die Halle gemauert. Darin befindet sich ein einzelnes Dachgeschosszimmer und darüber eine Temperierhaube, die Regen, Sonne und Frost simulieren kann. Im Versuch wurde untersucht, ob und wie eine Luftschicht zwischen Dach und Dachziegel die Trocknung unterstützt. Das Projekt ist erstmal abgeschlossen, kann in Zukunft aber reaktiviert werden. „Ich halte über viele Rohstoffe und Geräte hier meine Hand. Andere würden sie vielleicht entsorgen – aber irgendwann kommt immer eine Idee, wozu man es wieder nutzen könnte!“ erklärt Rimpel.


Ein weiteres Dachziegelexperiment testet den Abhebewiderstand. Der Versuchsaufbau simuliert ein Dach, das starkem Sturm ausgesetzt ist. Der Wind erzeugt eine Sogwirkung auf die Dachziegel, im Labor hängt ein Mobilee über den Dachziegeln, das an den Ziegeln zieht. Mauer- und Dachziegel sind übrigens nicht die einzigen Tonprodukte, die das IZF testet: Auch die Herstellung von Blumentöpfen gehört zum Portfolio der Untersuchungen
Im Labor
In kleinen Laborräumen werden alle ziegelspezifischen Untersuchungen durchgeführt, die draußen nicht möglich sind: In einem Miniaturofen kann entlang einer Brennkurve, die auch im Ziegelwerk herrscht, gemessen werden, bei welcher Temperatur Stoffe wie Fluor, Schwefel, Chlor oder Kohlenwasserstoffe aus dem Ton austreten. Das ist wichtig, um den Ofen im Werk richtig einstellen zu können. Ziegelwerke können hierzu Proben ihrer eingesetzten Tone einsenden. Eine winzige Menge reicht bereits aus, um z.B. den Brennwert zu bestimmen. Ein paar Meter weiter steht die Quecksilberkammer: In einem Quecksilberporosimeter wird das flüssige Metall über Druck in den Ziegel eingeführt. Die Menge an Quecksilber im Ziegel gibt Auskunft über die Porenstruktur. Ein weiterer wichtiger Punkt, der auch im Labor passiert: Hier werden die Trainees von erfahrenen Mitarbeiten angelernt.


Re-Use und Recycling
Ziegel halten eine Ewigkeit: Deswegen hat sich eine Firma im Ruhrgebiet darauf spezialisiert, alte Industriebauten zu recyceln. Die verwendeten Steine müssen gereinigt und geprüft werden, denn zur Wiederverwendung müssen sie gewisse Normen wie Druckfestigkeit erfüllen. Die Firma sendet für die Tests einen Teil der Ziegel an das IZF. Ein anderes Forschungsvorhaben zum Thema Recycling arbeitet mit Ziegelbruch: Dieser hat perfekte Eigenschaften als Pflanzsubstrat für Dachflächen. Im Experiment wird das Pflanzenwachstum von Pflanzen in einem handelsüblichen Vegetationssubstrat mit dem in Hintermauerziegelgranulat verglichen. Die Ergebnisse werden im Sommer 2023 erwartet. (Erfahren Sie hier mehr zum Projekt.)
Waben und Schaum im Ziegel
Im Laufe der Jahrzehnte sind im IZF viele Ziegelarten und -formen entstanden, die dort immer noch ausgestellt werden. Unter den Lochstrukturen findet man kreisrunde Öffnungen oder kleine Schlitze. Ein Ziegler hatte die Idee, mit extrem filigranen Lochstrukturen zu arbeiten. Die Wabenstruktur sollte der Wärmedämmung dienen. „Die Extrusion war aber sehr aufwendig, da die Stege extrem schmal sind“, erinnert sich Rimpel. Statt zu gießen hat man bereits erste Versuche unternommen, einen 3D-Drucker zur Ziegelproduktion einzusetzen: „Der bekommt diese filigranen Strukturen gut hin. Mit dem Stand der aktuellen Technik, reicht die Produktionsleistung allerdings nicht aus, Ziegel dem benötigten Umfang 3D zu drucken.“
Der größte Ziegel unter den Exponaten hat das Format eines 250-DF. Er ist geschosshoch. Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre gab es eine Reihe von Tests, mit geschosshohen Ziegeln zu bauen. „In Stuttgart wurde damit ein Studentenwohnheim errichtet und in Südfrankreich gab es eine Firma, die damit weitermachte. Es wurde aber nie akzeptiert, beim Ziegel einen Kran auf der Baustelle einzusetzen.“ Eine Idee, die sich hingegen erfolgreich durchgesetzt hat, ist die Verfüllung der Ziegel zur Wärmedämmung. Die erste Idee dazu war die Kammerfüllung: Ergänzend zum normalen Lochbild wurden in einem Forschungsvorhaben die diversen Lochbilder mit verschiedenen Granulaten gefüllt. Das Ziel war, durch die Füllung mit Material, das eine geringe Wärmeleitfähigkeit besitzt (bspw. Perlit, Mineralwolle oder Kork), den U-Wert der gesamten Mauer zu senken. Während das Prinzip zunächst bezweifelt wurde hat es sich mittlerweile durchgesetzt. Seit 2007 ist der Dämmstoff-gefüllte Ziegel am Markt und erreicht heute Spitzenwerte beim Wärmeschutz.


Zu den Relikten der Ziegelforschung gehört auch der Schaumziegel: Dem Ton wird bei der Herstellung ein Tensidschaum untergehoben, der zu einer extrem feinen Porenstruktur im Endprodukt führt. Der Schaumziegel ist durch die vielen Luftbläschen extrem leicht. Ursprünglich wurde er als Teil eines vollkeramischen Wärmedämmverbundsystems entwickelt und sollte anstelle von Mineralwolle zwischen Vor- und Hintermauer eingesetzt werden. Die Wärmedämmung des Schaumziegels wurde aber schon lange durch die Verbesserung der Scherbenstruktur des klassischen Hintermauerziegels überholt. Er ist damit ein weiteres Beispiel für die Forschung am IZF, Ideen umzusetzen, weiterzuentwickeln, dabei zu Scheitern und Neues zu entwickeln. Denn nur so kann der Ziegel künftig auch der Baustoff bleiben, der den höchsten Ansprüchen ans Bauen gerecht wird.