Streifzug durch die Ziegel-Zeiten
Schon die alten Römer sprachen von traditio, wenn es um die Überlieferung ging. Und auch sie übernahmen einst etwas, das schon längst Bautradition war, als sie die Weltbühne betraten – nämlich das Bauen mit Ziegeln. Die Ursprünge dieser Tradition gehen weit zurück. Nicht erst die Pharaonen im alten Ägypten kannten Ziegel. Bereits vor 10.000 Jahren, das haben Untersuchungen von Funden in Mesopotamien und im Nil-Delta ergeben, gab es Lehmziegel.

Seit 6000 Jahren werden Ziegel gebrannt – der erste große Meilenstein in der langen Ziegel-Geschichte. Vor 2000 Jahren schufen dann die Römer erste komplette Ziegelbauwerke und fügten der Tradition ein neues Kapitel hinzu. Sie verbreiteten die Bauweise im gesamten Römischen Reich rund ums Mittelmeer, brachten die Ziegel und ihre Herstellungsverfahren über die Alpen und damit auch in unsere Breitengrade.
Sogar in der Bibel finden sich Verweise auf Ziegel-Bauwerke. Der sicherlich bekannteste ist der auf den Turmbau zu Babel, zu dem es heißt (1. Mose 10): „Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lass uns Ziegel streichen und brennen!“ In der Erzählung des Alten Testaments bringt Gott den Turmbau durch eine Verwirrung der Sprache zum Stillstand. Das Fundament des Turms gruben Archäologen 1913 in Babylon im heutigen Irak aus. 155 Ziegel aus dem sechsten Jahrhundert v. Chr. haben die Zeiten überdauert.
In Südamerika hingegen setzten die indigenen Völker in der Zeit vor Ankunft der spanischen Eroberer auf ungebrannte, dafür an der Luft getrocknete Ziegel, die bis heute mit dem Wort „Adobe“ bezeichnet werden. Eines der berühmtesten Bauwerke ist beispielweise die Sonnenpyramide in Teotihuacan. Ziegel waren sogar Namensgeber: So besagt eine der gängigen Erklärungen, dass der Name des heutigen US-Bundesstaates Texas auf dem spanischen Wort tejas (Pluralform von teja, das Ziegel heißt) fußt. Die Spanier bezeichneten damit die zahlreichen Adobe-Bauten der indigenen Bevölkerung.
In unseren Breitengraden besannen sich die Menschen erst ab dem Frühmittelalter, verstärkt aber ab Mitte des elften Jahrhunderts, wieder auf die traditionelle Ziegel-Baukunst – besonders dort, wo es an Stein mangelte. Ab dem 17. Jahrhundert begannen die Städte zu wachsen und damit auch der Bedarf an Baumaterial. Die Ziegelproduktion zog an, die Herstellungsverfahren wurden verbessert. Mit Beginn der Industrialisierung war der Ziegel reif für das, was wir heute als Massenproduktion bezeichnen. Maschinen lösten die Produktion per Hand ab.
Weitere Zäsuren bildeten die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Schon nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 wurden für damalige Verhältnisse unvorstellbare Mengen Ziegel benötigt. Noch größer aber war der Einschnitt 1945. Deutschland lag am Boden. Ziegeleien, deren Zahl ohnehin seit der Jahrhundertwende stetig zurückgegangen war, waren zerstört, stillgelegt oder ihre Maschinen für andere Zwecke demontiert. Dem gegenüber aber stand ein ungeheurer Bedarf an Baumaterial – es fehlten allein bei Kriegsende mehr als vier Millionen Wohnungen. Nicht nur das gesamte Land erlebte seine Stunde – auch die Ziegel-Industrie.
Heute ist die Ziegelindustrie eine hochentwickelte Branche. Ziegel prägen nicht nur die Gesichter unserer Städte, sie gehören auch zu den beliebtesten Baustoffen überhaupt. Weil sie als Bodenschatz sprichwörtlich vor unserer Haustür liegen und die perfekten Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit liefern als nachhaltiger, energieeffizienter Baustoff.